Das Thema ist bereits am Rande ein paar Mal angesprochen worden.
Und ich denke, mit dem Beitrag kann ich einige Fragen klären.
Die original SVDs sieht man selten auf dem Markt und wenn, dann kosten diese 8’000 bis 10’000+ Fr.
Die Nachfrage übersteigt halt das Angebot um ein Vielfaches.
Dann gibt es noch die "zivilen" SVDs – die Tigr. Diese sind zwar mit 2000 Fr. kein Schnäppchen, aber doch erschwinglicher. Vor allem wenn man diese mit anderen "Scharfschützen" Gewehren vergleicht.
Und da fängt schon der erste Irrtum an. Wenn man dann mit dem Tiger auf 300m schiesst, in Erwartung, dass man eine zivile Ausführung vom legendären Scharfschützengewehr in der Hand hat, wird mache Schütze enttäuscht das Gesicht verziehen.
Jetzt mal alles der Reihe nach.
Die SVD ist ja bekanntlich Ende 50er Anfang 60er Jahre entwickelt und 1963 bei den sowjetischen Streitkräften eingeführt worden. Es war als Ersatz für Mosin Gewehre gedacht, welche bestückt mit PU Zielfernrohren sehr erfolgreich im WWII eingesetzt wurden. Basierend auf den Kriegserfahrungen wurde auch der Einsatzkonzept eines Scharfschützen entwickelt. Dieses Einsatzkonzept entspricht ziemlich genau dem, was heute bei den NATO-Streitkräften als (Squad) Designated Marksman bezeichnet wird. Demnach kann die SVD als erstes Designated Marksman Rifle angesehen werden.
Als mit der Entwicklung von hochpräzisen Gewehren und hochwertigen Optiken in den 80er Jahren im Westen neue Einsatzkonzepte entwickelt wurden, wurde der Begriff "Sniper" für speziell trainierte und ausgerüstete Scharfschützen reserviert. Designated Marksman dagegen wird auf Deutsch typischerweise als Zielfernrohrschütze bezeichnet.
Der Scharfschütze heisst auf Russisch "Snajper". Um jetzt zwischen dem Sniper und dem DM zu unterscheiden, heissen DMs auf Russisch nun "Pechotny snajper" also Infanteriescharfschütze.
Zum Zeitpunkt der SVD Einführung gab es weder im Westen noch im Osten eine Unterteilung von Sniper und DM, welche erst später aufkam. So ist heute die Abbreviatur "SVD" für "Dragunov Scharfschützengewehr" etwas irreführend.
Deswegen ist es wichtig zu verstehen, mit welchem Ziel die SVD entwickelt wurde. Es war nicht etwa kritische Ziele aus grosser Entfernung zu eliminieren, sondern die Feuerreichweite einer Infanteriegruppe zu erhöhen und Einzelziele auf Entfernungen von 600-700m kampfunfähig zu machen. Es wird kein genauer Kopfschuss erwartet, wo dazu noch eine Geisel nebendran steht. Die hohe Präzision hatte natürlich Priorität, doch auch die typischen Armeeanforderungen wie Zuverlässigkeit, Robustheit, einfache Handhabung und für eine Massenproduktion ausgelegte Konstruktion wurden als wichtig erachtet.
Was viele nicht wissen, wurden die SVD Läufe mit unterschiedlichen Zügen produziert. Seit der Einführung und bis 1973 hatten die Läufe eine Drlllänge von 320mm und ab 1974 bis heute haben die Läufe einen 240mm Twist (wie bei Mosin).
Evgeny Dragunov hat 1949 ein Sportgewehr «Spartak-49» auf Mosinbasis im Kaliber 7.62x54R entwickelt. Dieses Gewehr hatte bereits ein 320mm Drall Lauf und verwendete die Sportpatronen «Extra» mit einem 13g Geschoss. Bei der SVD Entwicklung hatte Dragunov die gleiche Dralllänge beibehalten. Ein solcher Lauf hat sowohl die schweren aber kurzen Sportgeschosse als auch die 9.8g Geschosse der 7.62 Standardpatrone LPS (GRAU: 57-N-323S) gut stabilisiert. Die 1967 eingeführte Scharfschützenpatrone 7N1 verfügte ebenfalls über ein 9,8g schweres Geschoss, welches für den 320mm Drall optimiert wurde.
Im Einsatz sollten die Infanteriescharfschützen neben den gegnerischen Offizieren, RTOs oder sonstigen wertvollen Soldaten auch leicht gepanzerte Kommandofahrzeuge bekämpfen oder Ziele der InfGruppe oder dem Zug zuweisen. Insbesondere könnten Panzerbrechende-, Leuchtspur- und Brandgeschosse zur Zielmarkierung eingesetzt werden. Wie sich herausstellte, waren diese Munitionstypen bei einem Twist von 320 mm nicht ausreichend stabilisiert, sodass die Genauigkeit der panzerbrechenden B-32 oder der Leuchtspurmunition T-46 für SVD unzureichend war.
1972 wurden die SVDs mit 240mm Twist Läufen hergestellt und getestet. Diese Tests haben gezeigt, dass es eine minimale Verschlechterung der Genauigkeit bei 7N1 und LPS Geschossen gibt, dafür eine markante Steigerung bei den Panzerbrechenden-Brand- und Leuchtspurgeschossen gibt. Daraufhin wurde im Januar 1973 beschlossen, die Gewehre auf 240 mm Lauflänge umzurüsten, und seit 1974 werden SVDs mit 240 mm Dralllänge für "klassische" 7.62x54R Mun hergestellt.
Die Standardgenauigkeit auf 100 Meter mit 3 Serien à 10 Schuss beträgt bei der 7N1 Munition 4.5cm (also 1.5 MOA), die LPS Mun schafft durchschnittlich 7cm auf 100m.
Noch als Randbemerkung, bei dem standard Scharfschützengewehr der russischen Armee SV-98 in 7.62x54R haben die Läufe wieder einen 320mm Twist und 0.5-0.7 MOA Streuung auf 300m mit 7N1 Mun.
Nun zum Tigr. Es basiert auf der SVD und hat sogar deren altes 320mm Twist, da erwartungsgemäss aus einer zivilen Waffe keine Brand- oder Leuchtspur Mun verschossen wird. Auf der Tigr Bedienungsanleitung steht es "Hunting Carbine". Nun ja, jede Saiga wird als Jagdkarabiner bezeichnet. Mag nichts heissen. Im Fall vom Tigr, ist es zwar kein Karabiner aber sehr wohl für die Jagd gedacht und in Russland sogar ein sehr beliebtes und weitverbreitetes Jagdgewehr für dort vorherrschendes Wild. Mit 8g leichten Geschossen für Wolf und Dachs. Die 9.7g bis 11.8g Geschosse sind gut für Hirsche und Wildsäue geeignet und 13-13.2 g schwere Geschosse sind für Elche und Bären, bei Entfernungen von 100-150m. Für grössere Bären und anderes Grosswild ist 7.62x54R im Allgemeinen zu schwach. Die typische Jagdentfernung ist selten höher als 200m. Und genau da liegt das Problem. Die meisten zivilen 7.62x54R Patronen werden in Russland für die Jagd hergestellt und gern gekauft. Vor allem die schwereren 11.3 bis 13.2g Geschosse sind für die Jagd auf Distanzen bis 200m optimiert. Die Barnaul hat zwar auch leichte 9.6g Geschosse im Angebot, doch diese habe ich in der Schweiz nie gesehen. S&B und PPU haben auch 180-182grs also 11.7-11.8g Geschosse – wohl für die Mosin Liebhaber gedacht. Dabei wäre ein leichtes 9-10g Geschoss optimal für den Tigr. So ist nicht überraschend, wenn man auf 100m ähnliche Streukreise wie aus einer AK schafft und auf 300m mit einem 4x ZF kaum ein 10er trifft, obwohl es eigentlich ein «Scharfschützengewehr» sein sollte.
Die 7N1 Sniper-Patronen werden wir in der Schweiz kaum bekommen, ganz zu schweigen von den moderneren 7N14 Panzerbrachenden-Snipermunition. Bleibt also nur das Wiederladen, um aus einer Tigr das vorgesehene Potenzial von 1.5 MOA ausschöpfen zu können.
Dass ein guter Schütze, mit einer modernen Optik auch auf 500m die Ziele gut treffen kann, sieht man gut in diesem Video (verwendete Mun: Barnaul mit 11.3g Geschossen):
Völliges Mühl ist die Tigr also keinesfalls und wenn man sich eine SVD nicht leisten kann oder will (wäre mir auch zu blöd 10'000 hin zu blättern), dann ist die Tigr, vor allem mit einer Holz-Schäftung echt eine gute Alternative. Abgesehen von Markierungen liegt der Unterscheid nur im Lauft. Abgesehen von der Twistlänge haben die Züge etwas andere Form, was eine Forderung vom Innenministerium war, damit die Polizei schnell zwischen Militär- und Zivilwaffe unterscheiden kann. Die Tigrläufe werden auch weniger aufwändig bearbeitet und haben ein technische «Lebenszeit» von 4’000 Schuss im Gegensatz zu 10’000 bei der SVD.